Regie, Kamera, Schnitt: Andy Fetscher / Musik: Steven Schwalbe, Robert Henke / Ausf.: Felix Wendlandt, Martin Hellstern / Prod.: Oliver Thau / Buch: Martin Thau
Darsteller: Nathalie Kelley (Lucia), Nick Eversman (Denis), Max Riemelt (Kris), Klaus Stiglmeier (Armin), Catherine de Léan (Marie), Brenda Koo (Juna) sowie Adolfo Assor, Johannes Klaußner, Andreas Wisniewski
Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin. Gibt ja dort auch ’ne Menge zu entdecken und zu erleben, zumindest für jene, die von außerhalb kommen. Dachten sich auch vier Rucksacktouristen und wollten mal ein paar ganz besondere Sehenswürdigkeiten erkunden, nämlich die dunkle Seite von Berlin. Nein, nicht die Oranienburger Straße, sie wollen noch viel, viel tiefer. Mit ihrem Reiseführer Kris (Max Riemelt), der sich selbst Dante nennt, wollen sie auf einer illegalen Tour den Berliner Untergrund entdecken, um im weit verzeigtem Labyrinth aus Kanälen, Stollen und Schächten diverse Relikte und Wandmalereien aus längst vergangenen NS-Zeiten begutachten. Dumm nur, dass Dante bei der illegalen Klettertour nach einem Zwischenfall schwer verletzt am Boden liegt und die vier Backpacker in dem weitläufigen, unterirdischen Bunkersystem erstmal auf sich alleine gestellt sind. Na ein Glück, dass sich mit dem ehemaligen DDR-Grenzwärter Armin (Klaus Stiglmeier), der unter Tage zu leben scheint, schnell Hilfe anbietet. Dumm nur, das dieser sich genauso schnell als ziemlich bösartiger Zeitgenosse, der auch vor Mord und Folter nicht zurück schreckt, entpuppt. Wären sie doch nur bei der üblichen Sightseeing-Tour geblieben…
Während es die Franzosen in den letzten Jahren kräftig splattern ließen und die Spanier mit subtilen Grusel glänzten, spielte der Horrorfilm in der deutschen Filmszene auch weiterhin eine eher untergeordnete Rolle. Zum Glück machte sich der eine oder andere Filmemacher daran, diesen unwürdigen Zustand zu ändern. Wenngleich sich das Ergebnis einerseits als ziemlich unbeholfen herausstellte (siehe den Vampirfilmversuch WIR SIND DIE NACHT, 2010, ebenfalls mit Max Riemelt), konnte an anderer Stelle mit BUKAREST FLEISCH (2007) ein kleiner Achtungserfolg verbucht werden, der es auch mit internationalen Produktionen aufnehmen konnte.
Vier Jahre später lieferte Regisseur Andy Fetscher mit URBAN EXPLORER seinen zweiten abendfüllenden Film ab. Und das ist doch mal ein echt unterirdischer Horrorstreifen – im wahrsten Sinne des Wortes.
Dank guter Ausleuchtung und effizienter Kameraarbeit, die bei weitem nicht so verwackelt ist, wie es andere Stellen einem glauben machen wollten, weiß Fetscher das faszinierende, düstere Setting gut zu nutzen, so dass man sich zwangweise fragt, warum da nicht schon früher einer drauf gekommen ist, im Berliner Tunnel- und Kanalschachtsystem einen Film zu drehen. Für eine unheilvolle, klaustrophobische und beklemmende Atmosphäre ist hier mehr als nur gesorgt.
Schade aber ist, das dieses tief unter einer pulsierenden Großstadt liegende Bunker-Labyrinth, das zu Entdeckungstouren geradezu einlädt, letzen Endes nur eine weitere austauschbare Horrorkulisse bleibt: Statt im Wald spielt dieser Film halt im Berliner Untergrund. Leider ist URBAN EXPLORER mit genau denselben Mängeln und Klischees (incl. einer eher flachen Geschichte) behaftet, wie wir sie bereits von diversen Ami-Teenie-Horrorfilmchen zur Genüge kennen.
Natürlich müssen sich da auch die Protagonisten laut Drehbuch mal wieder unsagbar dämlich anstellen – so dämlich, dass man sich zwangsweise fragt, wie sie es überhaupt bis nach Berlin schaffen konnten. Warum man nicht einfach den Killer komplett und endgültig außer Gefecht setzt, wenn sich einem die Gelegenheit bietet, oder man nach der Todeshatz unter Tage endlich eine U-Bahn-Station erreicht, aber anstatt Richtung Ausgang (an die Oberfläche!) wieder auf die Gleise flüchtet… – aber das sind halt die Genre-Mysterien, derer man sich auch hierzulande angenommen hat. Neben dem also nicht immer nachvollziehbaren Verhalten der Protagonisten, kommt noch der scheinbar tote Killer, der immer und immer wieder aufsteht und den Charakteren zu schaffen macht, hinzu. Zumindest hat dieser irre Armin, im Gegensatz zu seinen amerikanischen Horrorkollegen rund um Michael Myers, Jason & Co keine Maske nötig.
Mit der Besetzung von Klaus Stiglmeier und seiner unnachahmlichen physischen Präsenz gelang den Machern ein echter Trumpf, wobei allein schon sein irrer Blick und die bedrohlich-großen Zähne nachhaltig für Eindruck sorgen. Mit seinem polterndem, rabiaten Auftreten, den sarkastischen Sprüchen und dem wunderbar fiesen Lachen würde Stiglmeier jede ungehorsame Schulklasse zum Stillsitzen bringen. Es ist ein echtes Vergnügen, diesen Vollblutschauspieler zu erleben, zumal er es mühelos schafft, die mangelnde Ausarbeitung seines Charakters vergessen zu lassen. Armins Grenzwärter-Vergangenheit scheint hier bisweilen etwas aufgesetzt, überhaupt werden hier ziemlich grobschlächtig diverse Eckdaten deutscher Geschichte abhandelt, ohne das sie aber eine wirkliche Rolle spielen. Gelungen, wenn auch haarsträubend, ist hier und da nur das Spiel aus Fakten und Fiktion, trotzdem sollte Fetscher in seinem nächsten Film für das Drehbuch jemanden ranholen, der ein bisschen mehr Ahnung davon hat.
Trotzdem: als Slasherfan wurde ich hier 90 Minuten lang bestens unterhalten. Da sind die Klischeezugaben fast schon unvermeidlich; rein technisch gesehen gibt es bei URABN EXPLORER nichts auszusetzen. Nach einem langsamen Beginn, der sich gebührend Zeit nimmt, die faszinierende Unter-Tage-Kulisse vorzustellen (und zudem zum größten Teil in englischer Sprache mit Untertiteln daher kommt, was noch mal zusätzlich für Authentizität sorgt), fährt Fetscher vor allem im letzten Drittel schwere Geschütze auf – incl. einer splattrigen Szene, die wirklich unter die Haut geht…
- Die DVD und Blu-ray zu URBAN EXPLORER sind ungeschnitten bei universum film erschienen und bieten als Bonusmaterial Making of und Trailer, siehe auch: ofdb
6,5/10