KLEINER LADEN VOLLER SCHRECKEN
USA 1960 (s/w) / O: "The Little Shop of Horrors" / Prod.: Santa Clara Productions / Laufzeit: 68 Min. / FSK: k.A.
Regie + Produzent: Roger Corman, ungenannt: Charles B. Griffith, Mel Welles / Musik: Fred Katz, ungenannt: Ronald Stein / Kamera: Archie Dalzell, ungenannt: Vilis Lapenieks / Schnitt: Marshall Neilan Jr. / Buch: Charles B. Griffith
Jonathan Haze (Seymour Krelboin), Mel Welles (Gravis Mushnick), Jackie Joseph (Audrey), Dick Miller (Burson Fouch), Jack Nicholson (Wilbur Force), Myrtle Vail (Winifred Krelboin), Leola Wendorff (Mrs. Siddie Shiva), Wally Campo (Detective Sgt. Joe Fink / Erzähler, OV), Jack Warford (Det. Frank Stoolie), John Shaner (Dr. Phoebus Farb), Tammy Windsor [= Karyn Kubcinet] (Shirley), Toby Michaels (Shirley's Freund), Merrie Welles (Leonora Clyde), Dodie Drake (Kellnerin), ungenannt: Robert Coogan (Tramper), Jack Griffin (Betrunkener) und Charles B. Griffith (Kloy / schreiender Patient beim Zahnarzt / Einbrecher / Stimme von Audrey Jr., OV)
„Der ganze Film war ein Witz. Ich wollte den Rekord im Filmemachen brechen.“ (Roger Corman)
Roger Cormans Ruf als Sparfuchs, Restefilmverwerter und kreatives Improvisationstalent bezieht sich auf eine ökonomisch gesehen sinnvolle Macke: wann immer er ungenutzte und/oder herumstehende Filmsets, Requisiten und Dekorationen entdeckte, wurden diese für einen weiteren Film verwertet. Nicht umsonst trug seine 1998 erschiene Autobiografie den selbstironischen Titel „How I Made a Hundred Movies in Hollywood and Never Lost a Dime“. Auf diesen Sparzwang begründet sich auch die Entstehungsgeschichte zu THE LITTLE SHOP OF HORRORS: In diesem Fall wurde ihm die ungenutzte Vorderfront eines Geschäfts gezeigt. Zusammen mit seinem Stammautoren Charles B. Griffith heckte Roger Corman eine der berühmtesten Low-Budget-Produktionen der Filmgeschichte aus. „Wir hatten bei diesem Streifen eine Menge Spaß gehabt – und auch nur fünf Tage für seine Fertigstellung gebraucht. Ich war der Meinung, dass nur jemand wie Chuck [Charles B. Griffith] etwas auf die Beine stellen konnte, das in 2 Tagen fertig war. Wir planten eine Nacht herum. Er schrieb das Drehbuch innerhalb einer Woche, und den Film machten wir dann in zwei Tagen und einer Nacht, an Ort und Stelle.“ (so Roger Corman in Ed Naha’s THE FILMS OF ROGER CORMAN, zitiert aus DAS NEUE LEXIKON DES HORRORFILMS von Rolf Giesen & Ronald M. Hahn)
Aus der oben erwähnten, noch ungenutzten Vorderfront eines Geschäfts wurde schließlich „Mushnick’s Blumenladen“: Ausgangsort für ein schwarzhumoriges, vergnügliches Kleinod des Phantastischen Films. Darin wuselt der spleenige Florist Seymour Krelboin (Jonathan Haze) herum, der aufgrund seiner Tollpatschigkeit und der schlecht laufenden Geschäfte kurz vor dem Rausschmiss durch seinem autoritären Chef Gravis Mushnick (Mel Welles) steht. Mushnick steht ständig kurz vor der Pleite, liegt doch sein Laden in einem eher ärmlichen Viertel, also genau da, wo die Leute ihr letztes bisschen Geld nicht auch noch für Blumen ausgeben. Um die Kündigung abzuwenden bringt Seymour ein exotisches, aber leider eben auch vertrocknetes Pflänzchen mit ins Geschäft – das aber mächtig aufzublühen beginnt, als er sich versehentlich in den Finger schneidet und ein paar Tröpfchen seines Blutes in die Blumenerde gelangen. Alle staunen und kommen herbei gerannt, um die üppige Pflanzenpracht zu begutachten. Die Kasse beginnt zu klingeln und sein Chef war noch nie so gut zu ihm. Um Eindruck bei seiner liebreizenden Kollegin Audrey (Jackie Joseph), in die Seymour heimlich verknallt ist, zu schinden nennt er seine Pflanzenkreation Audrey Jr.
„Look on the Phantastic New Plant: Audrey Junior.“
Doch Audrey Jr. fordert ihren Blutzoll und fängt sogar an mit ihm zu sprechen: „Füttere mich! Füttere mich!“ Von da an fangen die Dinge an außer Kontrolle zu geraten: Da Seymour sein Blut freilich für sich selber brauch‘, muss er nun zusehen, wo er den kostbaren, roten Lebenssaft her bekommt. Entsprechendes Rohmaterial gibt’s genug im Viertel: ein Suffi, ein Einbrecher, ein Zahnarzt etc. Audrey Jr. ist keine Fliegenfalle, sondern eine Menschenfalle – und sie wächst und wächst und wächst. „Mushnick’s Blumenladen“ avanciert zur Touristenattraktion und ist bald rappelvoll. Das bringt freilich bald die Polizei auf den Plan und hat schon bald den armen Seymour im Visier…
Roger Corman hat Freunde, Kollegen und Bekannte zusammen getrommelt und gemeinsam heckte man eine Groteske aus, wie sie die Filmwelt bis dato nicht erlebte – und danach übrigens auch nicht mehr. KLEINER LADEN VOLLER SCHRECKEN ist ähnlich wie DAS VERMÄCHNTIS DES PROF. BONDI die Geschichte eines ebenso naiven wie sympathischen Verlierertypen, der aus Versehen und mehr durch Zufall als böse Absicht zum Mörder wird. Seymour Krelboin wuselt herum wie Jerry Lewis und macht dabei Sachen, die eigentlich zum fürchten sind: er bringt Menschen um.
Toll auch die übrigen skurrilen Figuren, die in „Mushnick’s Blumenladen“ ein- und ausgehen und bisweilen zum schreien komische Auftritte absolvieren: die alte Mrs. Shiva etwa, der die Verwandtschaft wegstirbt und darum, möglichst so billig wie möglich, ständig neue Blumenvorräte für die Beerdigung benötigt, Mrs. Feuchtwinger von der „gemeinnützigen Gesellschaft der diskreten Pflanzenbeobachter von Süd-Kalifornien“ und Mutter Krelboin, die, trinkfreudig wie sie ist, auf ständigen Alkoholnachschub durch ihren Sohn pocht. Schlichtweg zum brüllen ist der 5-Minuten-Kurzauftritt des damals 23jährigen Jack Nicholson, der als Masochist seine Lust auf Schmerzen beim Zahnarzt um die Ecke holt („Keine Spritze bitte, sonst hat man ja nichts davon!“). Nicht weniger schräg ist Corman-Stammschauspieler Dick Miller, der ursprünglich die Rolle des Seymour Krelboin spielen sollte, diese aber ausschlug, um stattdessen den Part des Nelken verspeisenden (!) Burson Fouch zu übernehmen („Ich bin verrückt nach koscheren Blumen!“). Dieser hat dann auch den Salzstreuer am Mann.
Was das Ganze soll? Keine Ahnung. Aber es macht einen Riesenspaß. Dieser kleine Laden voller Schrecken ist ein Paradebeispiel dafür, dass ein Film auch mit wenig bis gar kein Budget auskommen kann, wenn nur das nötige Engagement dahinter stimmt. Zudem bietet dieser wahrhaftige Kultfilm auch einen interessanten Blick auf „Corman’s Amerika“ der frühen 60er Jahre.
- Für Jonathan Haze bedeutete der Part des Seymour Krelboin die einzige Hauptrolle in seiner Karriere – man hätte ihm gut und gerne noch mehr gegönnt. Zumindest fand er seine Heimat in anderen Corman-Produktion, z.B. als Kontaminierter in DIE LETZTEN SIEBEN.
- Gelegenheitsregisseur Mel Welles, bekannt geworden durch LADY FRANKENSTEIN (1971), blieb den Pflanzen treu und führte 1967 Regie im Euro-Trash-Knaller DAS GEHEIMNIS DER TODESINSEL (mit Cameron Mitchell), wo ebenfalls ein mordlüsternes, zu gigantischen Ausmaßen herangewachsenes Blümchen sein blutiges Unwesen treibt
- „Unterhaltsame Horrorparodie, voll schrägstem Humor und von einer wahrhaft chaotischen Machart.“ (Harry Lieber, HÖLLE AUF ERDEN)
- „Wer etwas für völlig überdrehten und schwarzhumorigen Witz übrig hat, sollte sich diesen Klassiker des Phantastischen Films, den man unter keinen Umständen ernst nehmen sollte, nicht entgehen lassen.“ (Frank Trebbin, DIE ANGST SITZT NEBEN DIR)