FRAUEN BIS ZUM WAHNSINN GEQUÄLT
I / E 1970 / O: “La Foto Proibite di una Signora per Bene” / AT: “Forbidden Photos of a Lady Above Suspicion” / Laufzeit: 92 Min. / FSK: ungeprüft
Regie + Schnitt: Luciano Ercoli / Musik: Ennio Morricone / Kamera: Allejandro Ulloa / Prod.: Luciano Ercoli, Alberto Pugliese / Buch + Story: Ernesto Gastaldi
Dagmar Lassander (Minou), Pier Paolo Capponi (Peter), Simón Andreu (der Erpresser), Nieves Navarro [als Susan Scott] (Dominique) sowie Osvaldo Genazzani, Salvador Huguet u.a. [
Zweifelnde, skeptische Blicke wenn man mal Besuch bekommt und dieser sieht, was da für obszöne Titel in der Filmsammlung stehen: FRAUEN BIS ZUM WAHNSINN GEQUÄLT. Der Genießer schweigt und der Kenner weiß es besser: Natürlich ist der reißerische, deutsche Titel Quatsch, denn: hier wird nur eine Frau bis in den Wahnsinn hinein gequält. Und wer hier immer noch eine sadomaso-mäßige, sich in Misogynie suhlende Folterorgie im Stil des Exploitation-Kinos der 70er Jahre erwartet, dürfte entsprechend aus der Wäsche gucken, denn genau das bietet LE FOTO PROIBITE DI UNA SIGNORA PER BENE eben nicht. Dafür kommt der Giallo-Freund umso mehr auf seine Kosten.
Minou (atemberaubend: Dagmar Lassander), die Frau des vielbeschäftigten Ingenieurs Peter (Pier Paolo Capponi aus Dario Argentos DIE NEUNSCHWÄNZIGE KATZE, 1971), ist die meiste Zeit auf sich alleine gestellt, da ihr Mann sehr in seinem Job involviert ist. Minou fühlt sich von Peter vernachlässigt und im Stich gelassen und doch schwärmt sie von ihm, himmelt ihn an und würde einfach alles für ihn tun. Dazu soll sie bald Gelegenheit haben. Bei einem nächtlichen Spaziergang wird sie von einem geheimnisvollen Fremden (Simón Andreu, BEYOND RE-ANIMATOR, 2003) angerempelt und der schockiert sie mit einer unangenehmen Überraschung: ihr Peter soll einen Mord begangen haben. Und damit erpresst er Minou. Nicht mit Geld, nein – der Fremde erniedrigt sie, will Sex von ihr, er will Macht über sie ausüben und das sie sich ihm unterwirft. Damit möchte sie Peter schützen, stellt aber zugleich damit seine Loyalität auf die Probe. Als sie sich ihm anvertraut, wird ihre eigene Wahrnehmung auf die Probe gestellt: Hat sie sich das alles nur eingebildet?
Der 1929 in Rom geborene Luciano Ercoli produzierte in der Zeit vor 1970 u.a. den umwerfenden FANTOMAS (1964), den Abenteuerfilm PULVERDAMPF UND DIAMANTEN (1965, mit Jean Marais und Liselotte Pulver) und den Agententhriller OSS 117 – PULVERFASS BAHIA (1965) sowie den einen oder anderen Spaghettiwestern – neben den international besetzten DAS GOLD VON SAM COOPER (1968, mit Van Heflin, George Hilton und Klaus Kinski) zählen hierzu diverse Titel mit Giuliano Gemma wie z.B. EINE PISTOLE FÜR RINGO (1965), GNADE SPRICHT GOTT – AMEN MEIN COLT aka RINGOS RÜCKKEHR (1965) und DER LANGE TAG DER RACHE (1967). 1970 schließlich gab Luciano Ercoli sein Debüt als Regisseur – mit dem hier vorliegendem FRAUEN BIS ZUM WAHNSINN GEQUÄLT.
Und das ist ein wirklich sehr feiner, eher zurückhaltender Giallo, der im Gegensatz zu anderen Beiträgen aus diesem Sub-Genre weitaus weniger brutal und rabiat daher kommt. Stattdessen kann man hier auf eine sehr angenehme und verträumte Weise in der hier zelebrierten 70er-Jahre-Atmosphäre mitsamt der ausgetüftelt-ausgeklügelten Geschichte, den eleganten, stimmungsvollen Bildern und der wunderwunderwunderschönen Schabba-Schabba-Musik von Ennio Morricone drin schwelgen. Für Minou ist diese fatale Situation wie ein Alptraum, doch wie das alles vonstatten geht ist einfach traumhaft schön anzusehen – dank der beiden Hauptdarstellerinnen sowie den Beteiligten hinter der Kamera.
Der Film hat wirklich Stil und Style. Dagmar Lassander und Nieves Navarro tragen elegante und sexy Kostüme, alles erstrahlt in satten, kräftigen Farben und dabei suhlt man sich hier geradezu im luxuriösen Ambiente mit der schicken „art deco“-Inneneinrichtung. Doch dahinter, und das ist das perfide, lauern die Abgründe – die moralischen wie die sexuellen. Und genau dort geht es um Hörigkeit und Unterwerfung, um Erniedrigung und Erpressung, um Obsession, um Mord und den puren Sadismus. All das zu zeigen, mitsamt den verhängnisvollen Auswirkungen, schaffen Regisseur und Drehbuchautor ohne in selbstzweckhafte Gewaltexzesse zu versinken. Hier gibts kein Blut, dafür einen Plot. Gerade diese zurückhaltende Art macht den Film so spannend, da man nicht weiß, was als nächstes geschieht.
Sicher dürfte es einige geben, die sich hier etwas mehr Tempo und Thrill gewünscht hätten (und vielleicht die eine oder andere blutige Messerstecherei), doch wer auf Brutalität und Splatter verzichten kann, ist bei diesem wunderbar unaufgeregten Giallo sehr gut aufgehoben. Mir hat die ruhige Bahn, in der dieser Strudel aus Täuschung und Verschwörung verläuft, ausgezeichnet gefallen. Dafür wird man dann am Ende der Ereignisse umso mehr mit der abrupten, „überraschenden“ Auflösung (die für Giallo-erfahrene Zuschauer leicht absehbar ist) und der etwas unbeholfenen, holprigen Umsetzung in dieser Szene geradezu überrumpelt. Aber auch das kann den positiven Gesamteindruck dieses Streifens nicht schmälern.
Hier sieht man jedenfalls das Leute am Werk waren, die sich bei ihrem Film auch was gedacht haben. Die Handlung und der weitere Verlauf sind von Beginn an schlüssig aufgebaut: In den Anfangscredits sehen wir, wie Minou aus der Badewanne steigt und sich für den Abend zurecht macht, wo beim nächtlichen Spaziergang diese verhängnisvolle Begegnung mit dem fiesen Erpressertypen (synchronisiert von Klaus Löwitsch!) auf sie wartet. Unaufgeregt und ohne plumpe Effekthaschereien interessiert sich hier Ercoli mehr für die psychologischen Belange als reißerische Gewaltexzesse. Erstaunlich, wie eingehend und fast beiläufig Minou in den ersten 10 Minuten charakterisiert wird.
Schön, wie die Handlung den einen oder anderen Haken schlägt und den Zuschauer gekonnt auf falsche Fährten lockt. Kein Wunder: Der mit am Drehbuch beteiligte Ernesto Gastaldi ist eine feste Größe im italienischen Kino. Egal ob Giallo, Western, Poliziotteschi, Endzeitfilm, Monsterfilm oder Prügelklamotte – schaut nur mal, an welchen Filmen er als Drehbuchautor mit beteiligt war: DAS SCHLOSS DES GRAUENS (1963, Antonio Margheriti), DER DÄMON UND DIE JUNGFRAU (1963, Mario Bava), GEMINI 13 – TODESSTRAHLEN AUF KAP CANAVERAL (1966, Antonio Margheriti), SARTANA (1966, Alberto Cardone), DER TOD RITT DIENSTAGS (1967, Tonino Valerii), DER SCHÖNE KÖRPER DER DEBORAH (1968, Romolo Guerrieri), SARTANA – TÖTEN WAR SEIN TÄGLICH BROT (1969, Giuliano Carnimeo), SARTANA KOMMT (1970, Giuliano Carnimeo), MALASTRANA (1971, Aldo Lado), DER DICKE UND DAS WARZENSCHWEIN (1972, Tonino Valerii), MEIN NAME IST NOBODY (1973, Tonino Valerii), DER BERSERKER (1974, Umberto Lenzi), DER MANN OHNE GEDÄCHTNIS (1974, Ducio Tessari), NOBODY IST DER GRÖSSTE (1975, Damiano Damiani), DIE GEWALT BIN ICH (1977, Umberto Lenzi), DAS CONCORDE INFERNO (1979, Ruggero Deodato), LEINEN LOS WIR SAUFEN AB (1980, Sergio Corbucci) und PIZZA CONNECTION (1985, Damiano Damiani) sowie diverse Filme für Sergio Martino: DER KILLER VON WIEN (1971), DER SCHWANZ DES SKORPIONS (1971), DIE FARBEN DER NACHT (1972), TORSO – DIE SÄGE DES TEUFELS (1973), DER FLUSS DER MÖRDERKROKODILE (1979) und PACO – KAMPFMASCHINE DES TODES (1986).
Noch ein paar Worte zur Besetzung: Die bezaubernde Dagmar Lassander absolviert hier eine ihrer besten Rollen und ist ebenso sexy wie unschuldig und naiv. Schade, dass sie sich, aus welchen Gründen auch immer, seit 1994 aus dem Filmgeschäft verabschiedet hat. Vor 1970 gastierte sie im MÖRDERCLUB VON BROOKLYN (1967), hatte STRASSENBEKANNTSCHAFTEN AUF ST. PAULI (1968) und mit den Jacob Sisters und Insterburg & Co. ein QUARTETT IM BETT (1968). Daneben spielte sie noch u.a. in den Filmen von Mario Bava (HATCHET FOR THE HONEYMOON, 1970), Sergio Sollima (DER SCHWARZE KOSAR, 1976), Lucio Fulci (THE BLACK CAT und DAS HAUS AN DER FRIEDHOFSMAUER, beide 1981) und Lamberto Bava (DER MONSTER-HAI, 1984) sowie im Bud-Spencer-Spaß PLATTFUSS IN AFRIKA (1978) mit.
Daggis dominant-provokanten Gegenpart verkörpert die ebenfalls hinreißende Nieves Navarro (aka Susan Scott), die hier als Minous Freundin gerne ihr Spiel mit den Männern spielt, auf gesellschaftliche Konventionen pfeift und Pornografie in allen möglichen Varianten konsumiert (O-Zitat: „Ich würde mich gern mal vergewaltigen lassen“). Schon in den 60ern war sie in den Produktionen ihres späteren Ehegatten Luciano Ercoli zu sehen und auch danach übernahm sie Rollen in seinen Filmen. Ercoli selbst führte danach noch sieben Mal Regie (davon schafften es nur 2 Filme von ihm nach Deutschland: DER TRICKSTER, 1973, und SÜNDEN DER LUCREZIA BORGIA, 1974), ehe er sich 1977 aus dem Filmgeschäft verabschiedete. Gerne hätte man noch mehr Filme von ihm gesehen.
Tadellos ist hier die DVD-Veröffentlichung durch Camera Obscura, wo der Film im schicken Digipak (und Schuber) als Vol. 9 in der „Italien Genre Cinema Collection“ erschien und in satten, prallen Farben erstrahlt. Hier gibt es nichts zu meckern: Artwork, Menügestaltung und Bonusmaterial sind wirklich vorzüglich. Zu den Extras gehören hier neben Trailer und Fotogallerie zwei Featurettes: „Shooting Frobidden Photos“ (35 Min.) und „Venus Plus“ (14 Min.), in denen Regisseur Luciano Ercoli mit seiner Frau Nieves Navarro bzw. Drehbuchautor Ernesto Gastaldi zu Wort kommen. Hier erfährt man einige recht interessante Dinge, z.B. das der Film komplett in Spanien gedreht wurde und Mahnahén Velasco nur als Drehbuchautor genannt wurde, um in dieser italienisch-spanischen Co-Produktion für ein ausgewogenes Verhältnis zwischen den Crewteilnehmern zu sorgen – und dadurch die entsprechenden finanziellen Zuschüsse zu erhalten. Abgerundet wird das Bonuspaket durch das Booklet mit einem sehr schönen, informativen, ironischen und persönlichen Text von Christian Keßler (diesen und die Inhaltsangabe gibt es hier in deutsch und in englisch). Die damals fehlenden Szenen wurden im Original belassen und mit deutschen Untertiteln versehen.
7/10