THE BOOK OF ELI
USA 2009 / O: "Book of Eli" / Prod.: Alcon Entertainment; Silver Pictures/ 117 Min. (Blu-ray) / FSK: ab 16
Regie: Allen & Albert Hughes / Musik: Atticus Ross, Leopold Ross, Claudia Sarne / Kamera: Don Burgess / Schnitt: Cindy Mollo / Ausf. Prod: Richard D. Zanuck, Erik Olson, Steve Richards, Susan Downey / Prod.: Joel Silver, Denzel Washington, Broderick Johnson, Andrew A . Kosove, David Valdes
Denzel Washington (Eli), Gary Oldman (Carnegie), Mila Kunis (Solara), Jennifer Beals (Claudia), Tom Waits (Mechaniker), Ray Stevenson (Redridge), Michael Gambon (George), Frances de la Tour (Martha), Malcolm McDowell [ungenannt] (Lombardi), Evan Jones (Martz), Joe Pingue (Hoyt), Chris Browning (Bandenführer), Lora Cunningham (Räubergespielin), Richard Cetrone, Keith Davis, Don Thai, Thom Williams (Räuberbande) sowie Lateef Crowder, Scott Wilder, Heidi Pascoe, Jennifer Caputo, Eddie Perez, Arron Shiver, Scott Morgan u.a.
Die Welt geht unter und wir singen „Road to Nowhere“. In Anlehnung an den Talking-Heads-Klassiker für mich immer wieder eine schöne Metapher (und ein toller Song) wenn es um den Untergang und das Ende der Welt geht. Im Jahre 2044 ist dies schon längst geschehen: 30 Jahre ist es her, seitdem das eintraf, was man als eine Katastrophe biblischen Ausmaßes bezeichnet. Später wird man erfahren, dass ein Blitz ein Loch in den Himmel brannte, wer sich nicht verstecken konnte, verbrannte bei lebendigem Leib oder erblindete. Die Menschheit wurde zum größten Teil ausgelöscht, die Tier- und Pflanzenwelt, wie wir sie kennen, gehört der Vergangenheit an. Die wenigen Überlebenden gaben sich dem Chaos, der Anarchie oder einfach nur dem Kannibalismus hin. Überleben um des Überlebens Willen. Das, was einst Amerika war, ist nun eine einzige Trümmerwüste; die langen, endlosen Straßen führen nun erst recht ins Nirgendwo.
Nur für einen nicht: da ist ein einsamer Wandersmann, der inmitten dieses Chaos, zwischen geparktem Auto-Schrott und alten Häuser-Ruinen, umzingelt von Räuber-Banden und Menschenfressern, seinen Weg geht. Mit diversen Waffen und Kampfkünsten bestückt hat Eli (Denzel Washington) nur ein Ziel vor Augen: die Westküste. Und er trägt den größten Schatz, den es auf dieser kaputten, völlig zerstörten Erde gibt, mit sich. Hinter dem ist auch der fiese Carnegie (Gary Oldman) her, der in einer Kleinstadt ein diktatorisches Regiment aufgebaut hat und einer der wenigen Menschen ist, die noch lesen und schreiben können. Er will es haben, dieses kostbare, einflussreiche Buch, das Eli bei sich trägt und mit dem man so viel bewirken und erreichen kann…
Neun Jahre ist es her, seitdem die Hughes-Brothers Allen und Albert ihren letzten Film inszenierten: FROM HELL, ihre geniale Variation und Interpretation rund um den Mythos Jack the Ripper. Mit ihrer pessimistischen Zukunftsvision THE BOOK OF ELI begeben sie sich nun auf das Endzeit-Terrain und liefern ein postapokalyptisches Roadmovie, das vor Westernmotiven, stilistisch und inhaltlich, geradezu strotzt.
Vom episch angelegten Szenenaufbau über den markanten, Ennio Morricone zitierenden Soundtrack bis hin zum klassischen Westernmotiv mit dem stoischen Einzelgänger, der in der Kleinstadt auftaucht und dort dem Bösewicht mitsamt seiner räuberischen Bande die Leviten liest: Für sich gesehen ist THE BOOK OF ELI eine tolle Hommage auf die Filme des Sergio Leone – und noch viel mehr.
So hinterlassen die Hughes Brothers nachhaltig Eindruck mit ihrem ausgefeilten visuellen Konzept, allen voran die geradezu magischen, betörend schönen Endzeit-Bilder, die eine verlassene Zivilisation dokumentieren und einen sofort in den Bann ziehen. Die Action stimmt und die sehr brutalen, von Washington höchstpersönlich ausgeführten Kampfszenen wurden so eingesetzt, dass sie den Film über nicht dominieren. Dort kommen übrigens auch die Jungs der legendären KNB EFX Group zum Einsatz.
Schauspielerisch weiß THE BOOK OF ELI ebenfalls zu überzeugen: Denzel Washington als stoischer Einzelgänger und Gary Oldman als von der Macht besessener Oberbösewicht geben zwei sehr charismatische Gegenspieler ab, FLASHDANCE-Schönheit Jennifer Beals und Mila Kunis wissen als Carnegie’s blinde Sklavin bzw. als deren aufmüpfige Tochter, die Eli auf seinen Weg begleitet, zu gefallen. Was umso mehr auf das tolle Nebendarstellerensemble zutrifft: der grandiose Tom Waits (der vor kurzem noch als Teufel in Terry Gilliams‘ DAS KABINETT DES DR. PARNASSUS brillierte) als feilschender Mechaniker sowie Michael Gambon und Frances de la Tour, die man als schräge Kannibalen-Rentner gerne noch etwas länger gesehen hätte. Ganz zum Schluss taucht noch der in den Credits nicht erwähnte Malcolm McDowell auf, der das, was Eli ihm zu erzählen hat, zu einem edlen Buch bindet. Insgesamt eine sehenswerte Schauspielerriege, die die Hughes Brothers da zusammen getrommelt haben.
Der Vorwurf, THE BOOK OF ELI würde im Religions-Kitsch versinken und gegen Ende nur mit einem weiteren Heilsbotschaftsfinale aufwarten, ist natürlich schnell ausgemacht, dennoch sollte man sich nicht zu sehr auf angebliche Erweckungs- und Bekehrungsversuche versteifen. In diesem Film wird keiner bekehrt, die Welt bleibt auch zum Schluss weiterhin im Arsch. Sicher ist THE BOOK OF ELI ein religiöser Film, aber eben auch mit ungemein vielen religionskritischen Momenten und somit alles andere als plumpe, einfältige Bibel- und Christenpropaganda – um Gottes Willen, das wäre ja noch schöner gewesen.
So erfährt man im Film, dass die Bibel selbst, dieses wahrhaftig machtvolle Buch der Bücher, die Ursache für die ganze Misere mit nachfolgendem postapokalyptischen Trauma war. Was auch aus heutiger Sicht, im Hier und Jetzt, als gar nicht so abwegig erscheint. Im Film erfährt man, das einst sämtliche Bibeln dieser Welt verbrannt und vernichtet wurden. Wohl gemerkt erst nach der Apokalypse, also viel zu spät. Rein rationell gesehen aber trotzdem das richtige: wenn man sich ein Herz fasst, wird man sich eingestehen müssen, dass alle Religionen dieser Welt, mit dem Christentum an vorderster Front, nichts, aber auch überhaupt nichts Gutes brachten.
Dieter Hildebrandt sagte einmal, dass die Bibel eine wunderbare Literatur sei. Und dem ist nichts hinzuzufügen. Und ich, der abends in unzähligen Hotelbibeln blättern durfte, kann das nur bestätigen. Wenn ich wütend war, schrieb ich „Wer an Gott glaubt, betrügt sich selbst!“ hinein. Ich traf mal jemanden, der wie ich nicht an den Atheismus glaubte und er sammelte Bibeln, Jahrhunderte alt. Was für ein erhabener Anblick das war, ich werde ihn nie vergessen.
Letzten Endes kommt es ja drauf an, was man daraus macht, aus dieser wunderbaren Literatur. Ob nun vor oder nach der Apokalypse: Es wird wohl immer Menschen wie Eli geben, die an den Glauben glauben und die heilige Schrift nützlich und sinnvoll für die Allgemeinheit einzusetzen wissen. Und es wird immer wieder Bibelfanatiker und selbsternannte Gottfürsprecher geben, die mal Carnegie, mal Mixa oder Meissner heißen und einfach nur Schindluder damit treiben. Am Ende findet sich das Buch von Eli, ganz edel in Leder gebunden, da wieder, wo es hingehört: direkt neben dem Koran.
- THE BOOK OF ELI bietet ein Wiedersehen mit gleich drei Harry-Potter-Stars: Gary „Sirius Black“ Oldman, Michael „Albus Dumbledore“ Gambon und Frances de la Tour, die in HARRY POTTER UND DER FEUERKELCH (2005) als Madame Olympe Maxime zu sehen war. Die Welt ist ein Dorf. Aktuell kann man Frances de la Tour auch als Tante Imogene in Tim Burton’s ALICE IM WUNDERLAND (2010) erleben.
7,5/10