DAS SCHLOSS DES GRAUENS
I 1963 / O: „La Vergine Di Norimberga“ / AT: „Back to the Killer”, „The Castle of Terror“, „Die Gruft der lebenden Leichen”, „Horror Castle“, „Terror Castle”, „The Virgin of Nuremberg“ / Prod.: Mario Vicario
Regie: Anthony M. Dawson [= Antonio Margheriti] / Musik: Riz Ortolani / Kamera: Richard Palton [= Riccardo Pallottini] / Prod.: Fred Holliday, Jim Murray / Buch: Anthony M. Dawson, Edmund Greville [= Edmond T. Gréville], Gastard Green [= Ernesto Gastaldi] / LV: „The Virgen of Nurimberg” von Frank Bogart
Christopher Lee (Erich), Rossana Podestà (Mary Hunter), George Rivière (Max Hunter), Jim Dolen (John Selby), Lucille St. Simon, Patrik Walton, Carole Windsor, Rex Vidor, James Borden, Peter Hardy, Bredon Brett, Robert Mayor, ungenannt: Anny Degli Uberti, Mirko Valentin (der Mann mit der schwarzen Kapuze)
„Schluß jetzt! Ich habe keine Lust mehr, Ihre Schauergeschichten anzuhören!“
Ein altes Schloss, ein Gewitter, ein Schrei in der Nacht. Schlossherrin Mary Carson (Rossana Podestá; in der Originalfassung: Mary Hunter) wird jäh aus dem Schlaf gerissen. Die erste Nacht in dem alterwürdigen Gemäuer bekommt ihr nicht sehr gut. Eigentlich kommt sie aus London, doch diesmal begleitete sie ihren werten Gatten Burt (George Rivière; OF: Max Hunter) zu dem alten Familienbesitz. Auf der Suche nach dem Ursprung des gellenden Schreies stößt sie die schwere Tür zur Rüstungskammer auf. Und dort steht sie: die Eiserne Jungfrau, das berühmt-berüchtigte und immer wieder bewährte, mittelalterliche Folterinstrument. Und sie wurde eben benutzt, denn in ihr steckt die schrecklich zugerichtete Leiche des (wie sich später herausstellt) Hausmädchens – ohne Augen. Als sie aus ihrer Ohnmacht wieder erwacht, hat ihr Mann nichts anderes übrig, als ihr einzutrichtern, dass alles nur ein Albtraum sei und die schrecklichen Dinge nur Einbildung waren. Denkste.
Da kommt Marta, die strenge Haushälterin mit hochgestecktem Haar, ernster Miene und finsterem Blick, auf sie zu. Sie erzählt Mary von einem Mann mit schwarzer Kapuze, der zurück gekehrt ist, um sein Richteramt auszuführen. Und in diesem Fall ist der Richter auch gleich der Henker. Es ist nicht das erste Mal, daß auf diesem Schloss Menschen zu Tode gefoltert wurden. Niemand kann Mary trauen. Ihr Mann Burt gibt sich ihr gegenüber äußerst fürsorglich, doch nachts zieht er die Gummistiefel an und begibt sich auf geheimnisvolle Streifzüge. Und Diener Edward (Christopher Lee; OF: Erich) sieht auch nicht gerade vertrauenerweckend aus, seit er im Krieg sein linkes Auge verlor. Im wehendem Nachthemd und mit flackerndem Kerzenlicht begibt sich Mary auf die Suche nach der Identität des Mannes mit der schwarzen Kapuze…
Italiens fleißiger Regie-Tausendsassa Antonio Margheriti, bestens bekannt unter seinem Pseudonym Anthony M. Dawson, war praktisch in allen Genres zu Hause. 1963 gab er mit LA VERGINE DI NORIMBERGA seinen Einstand im Horrorfilm. Ein Jahr später inszenierte er DANZA MACBRA aka CASTLE OF BLOOD mit Barbara Steele und abermals George Rivière in den Hauptrollen, ein Film, der leider nie in Deutschland erschien und dessen Geschichte Margheriti 1971 leicht variiert in DRACULA IM SCHLOSS DES SCHRECKENS (mit Klaus Kinski als Edgar Allan Poe!) erneut erzählte.
Wer die Filme von Mario Bava und auch die der legendären Hammer Studios mag, wird mit SCHLOSS DES GRAUENS (so der deutsche Titel) sicher seine Freude haben. LA VERGINE DI NORIMBERGA ist ein stimmungsvoll photographierter Gothic-Grusler, der in puncto Atmosphäre, Spannung sowie Farb- und Lichtgestaltung keinerlei Wünsche offen läßt. Die Zutaten wissen zu gefallen: Ein schön ausgestattetes, aber eben auch verdammt grusliges Schloss mit verwinkelten Treppen und einer Gruft voller Spinnweben, dazu nächtliche Gewitter, finstere Geheimnisse, zwielichtige Figuren und effizient eingesetzte Folterinstrumente. Margheriti kann sich hier voll und ganz auf seinen Stammkameramann Riccardo Pallotini, der hier für die stimmungsvolle Ausleuchtung und die betörend schöne Farb-Fotografie verantwortlich zeichnet, sowie die wieder einmal passende musikalische Untermalung von Riz Ortolani verlassen.
Im DVD-Zeitalter kommen wir nun endlich in den ungekürzten Genuss dieser kleinen italienischen Gruselperle, die hierzulande seit dem deutschen Kinostart am 15.05.1964 nur in einer um ca. 5 Minuten gekürzten Fassung zu sehen war und zudem in der Synchronisation stark verfremdet wurde. So verkaufte die deutsche Fassung uns den Übeltäter mit der schwarzen Kapuze als ganz normalen Irren, der durch eine Kriegsverletzung wahnsinnig geworden ist. In der Originalfassung handelt es sich jedoch um einen Wehrmachtsoffizier, der das fehl geschlagene Attentat auf Hitler mit plante und ausführte. Zur Strafe für sein Fehlverhalten wurde er von üblen Nazi-Chergen grausamen chirurgischen Experimenten unterzogen, die sein Gesicht aufs grässlichste entstellten. Sie schufen einen lebenden Totenkopf! Das geht auf keine gesunde Menschenhaut und so fand sein Dasein nur noch als wahnsinnig gewordener Folterknecht Verwendung.
Alle Szenen und Handlungsstränge mit Nazi-Bezug wurden nicht gerade dezent entfernt, am Ende blieben allerlei Ungereimtheiten übrig. Zum Opfer der Schere fielen neben jener Szene, in welcher die Nazi-Ärzte dem Ärmsten die Gesichtshaut entfernen, auch diverse alte Wochenshowaufnahmen. So war das eben damals mit der Vergangenheitsbewältigung – sie hat uns überwältigt.
Dass die Geschichte mit ihrer NS-Thematik und den zeitgeschichtlichen Anspielungen in eine ganz andere Richtung geht, als man es zu Beginn noch glaubte, ist ungewöhnlich für einen Film, der im Gothic-Horror-Milieu angesiedelt ist, aber zur selben Zeit spielt, in der er gedreht wurde. Das hätte man anfangs auch nicht gleich vermutet.
Neben den ganzen, manchmal bizarren Horrorelementen halten auch Giallo-Motive und Edgar-Wallace-Anleihen Einzug in die krude, abwechslungsreiche Folterkammer-Geschichte, die mit einigen für damalige Zeiten sehr krassen Effekten aufwartet. Neben der bereits erwähnten Eisernen Jungfrau gibt es noch blutende Augenhöhlen und eine von einer Ratte angeknabberte Nase. Jene Momente der Verstümmelung bieten einen Vorgeschmack auf das, was andere italienische Filmemacher in den 70er Jahren zelebrierten, insofern kann man Antonio Margheriti in dieser Hinsicht als einen Wegbereiter bezeichnen. „Sado-voyeuristische Exzesse“, wie Frank Trebbin in seiner Horror-Bibel „Die Angst sitzt neben Dir“ treffend beschrieb. Die Demaskierung des Mannes mit der schwarzen Maske, dessen Identität bis zum Schluss verborgen bleibt, ist ebenfalls ein Hingucker: der Anblick seines Schädels ist auch heute noch hübsch-bizarr. Weniger gelungen war Christopher Lees Make-Up mit seiner vernarbten linken Gesichtshälfte und dem fehlendem Auge.
- Nicht nur das die deutsche Fassung verstümmelt und sinnentstellt synchronisiert wurde, wodurch manches Verhalten einiger Protagonisten wirklich schleierhaft erschien, auch die Rollennamen wurden umgemogelt. So wurde aus Max Burt, aus Erich wurde Edward und aus Fritz wurde Fred. Na ja, im Prinzip heißen wir ja alle irgendwie. Der Film spielt auch nicht in England, wie in der DF geschehen. Um dem Ganzen die Krone aufzusetzen (und auch wirklich jede NS-Bezüge in der Handlung zu eliminieren) verkaufte man uns das SCHLOSS DES GRAUENS als Edgar-Allan-Poe-Adaption. Dreister geht’s nun wirklich nicht.
- Hauptdarstellerin Rossana Podestá war damals die Frau des Produzenten Mario Vicario
- „Aber sowohl die Geschichte als auch die blutige Handschrift des Regisseurs lassen nur ein Urteil zu: Italien war vielleicht dreimal Fußball-Weltmeister, aber im Kopieren berühmter Vorbilder (z.B. Hammer, AIP) gewannen sie jedes Mal den ersten Preis.“ (Marcus Pawelczyk, HÖLLE AUF ERDEN)
- „Antonios Margheritis Film ist ein für die damaligen Zeiten harter Horror mit dem Holzhammer, dessen virtuoser Einsatz von Licht und altbarocken Schauereffekten dabei aber seine Wirkung nicht verfehlt. (…) Trotz der blutigen Morde versteht es Antonio Margheriti, seine Zuschauer auch mit wohligen Grusel zu unterhalten.“ (Frank Trebbin, DIE ANGST SITZT NEBEN DIR)
- „Christopher Lee, der hübsch entstellt aussieht, gibt sich alle Mühe, den Verdacht des Zuschauers auf sich zu lenken, was ihm aber nicht gelingt.“ (Ronald M. Hahn & Rolf Giesen, DAS NEUE LEXIKON DES HORRORFILMS)
Rezensionsexemplar war hier die DVD-Erstauflage von Koch Media aus dem Jahre 2005:
Label: Koch Media / Ton: deutsch & italienisch in DD 2.0 Stereo / Bild: 1,85:1 (anamorph; 16:9) / Untertitel: deutsch) / Regionalcode: 2 / Verpackung: Digipack im Pappschuber / Laufzeit: 80 Min. (uncut) / FSK: ab 16 / Extras: italienischer Originaltrailer, Bildergalerie, Slideshow mit Musik, weitere DVD-Highlights, 4seitiges Booklet
Die Extras hätten sicher noch etwas umfangreicher sein können, ansonsten gibt es auch bei diese Scheibe von Koch Media keinen Grund zum meckern. Denn endlich kommt man in den ungekürzten Genuss dieses hübschen Gruselstreifens, den man jahrelang hier überhaupt nicht sehen konnte. Die damals herausgeschnittenen Szenen wurden wieder eingefügt und wie üblich im Original mit dt. Untertiteln belassen. Mit der sinnentstellten Synchronisation muß man sich weiterhin zufrieden geben, schon aus diesem Grunde wäre eine Neusynchro angebracht gewesen. Kostet eben leider ne Menge. Doch dafür sind ja DVDs da: man kann einfach auf die Tonspur mit der Originalfassung klicken. Wer glaubt, dort Christopher Lee hören zu können, muß enttäuscht werden: auch die Originalfassung wurde im Nachhinein synchronisiert. Trotz diverser Verschmutzungen kommt das Bild mit seinen Farb- und Lichtspielereien gut rüber, der Ton kann sich für einen Film dieses Alters ebenfalls sehen bzw. hören lassen. Das Ganze gibt’s im Digipack mit schönem Pappschuber.